Erschöpft setze ich mich auf mein Sofa und freue mich auf sinnlose YouTube-Videos, die mein Gehirn auf null Anstrengung herunterregeln. Das erste Video, welches mir entgegenschlägt ist von einem YouTuber, der eine Reality-TV-Show von 2010 kommentiert. In der Show „Bridalplasty“ geht es um bald heiratende Frauen, die sich vorher noch einer Schönheitsoperation unterziehen möchten (oder müssen (?) aber dazu kommen wir gleich). Um diese Schönheitsoperation zu bekommen, müssen sie sich jedoch mit ihren Mitstreiterinnen zusammen einer „Challenge“ stellen und natürlich kann nur die Beste gewinnen! Kein. Scheiß.

Mal abgesehen davon, dass das super sexistisch ist: die Frau ist nicht genug und muss sich behandeln lassen, um schön genug für Mann zu sein, der so wie er ist in Ordnung ist und nichts machen lassen muss, fällt mir noch etwas anderes auf. Als ich so die Aufnahmen sehe, Frauen mit frisch operierten noch verbundenen Nasen oder Brüsten, die mit Silikon ausgestopft werden, denke ich mir: irgendwie sind wir nicht so weit gekommen als Gesellschaft.

Denn auch wenn eine solche Show absolut zu Recht heutzutage kritisiert werden würde, machen wir diese Dinge trotzdem. Ich würde sogar behaupten: heute sind wir dem Schönheitswahn mehr verfallen als je zuvor, egal ob es eine „kleine“ Unterspritzung der Augenringe oder eine ganze „Korrektur“ der Nase ist.

Shows wie diese waren damals eine Einladung zum Mobbing und das wurde auch einfach akzeptiert. Tatsächlich kommt RTL immer noch mit Shows um die Ecke, die schreien: „Hey, Leute! Heute mobben wir diese Randgruppe, damit sich unsere Zuschauer nicht mehr so armselig fühlen!“ Ach nein, sorry, das ist ja „aufklärerisch“. Ich vergaß.

Dass das Ganze, damals wie auch heute, menschenverachtend ist, brauchen wir nicht weiter zu diskutieren.

Heutzutage steht keine professionell geschminkte und gestylte Moderatorin (welche als Endergebnis der Show locken soll), die uns aktiv sagt, was „falsch“ mit uns ist und was wir an unserem Körper ändern müssen, sondern es sind Influencer mit ihrem perfekten Körper oder aber auch ganz einfach Instagram-Filter, die uns ganz genau zeigen wie „schön und süß“ wir doch mit einer kleinen Stupsnase aussehen würden. Aber alles easy! Wir werden ja nicht aktiv dazu aufgefordert, etwas machen zu lassen, nein, nein, das ist alles freiwillig, denn wir werden ja von alleine unzufrieden und denken dann noch, dass das unsere eigene Idee war.

Hört ihr das? Das ist die Werbebranche, die lacht, weil das so verdammt clever ist!

Versteht mich nicht falsch! Wenn sich jemand tatsächlich aus freien Stücken dazu entscheidet etwas an seinem Aussehen zu ändern, ist das vollkommen legitim und generell darf jeder das mit seinem Körper machen, was er möchte, ALLERDINGS gibt es einen Unterschied zwischen „Ich mache das, weil es mich mein Leben lang stört oder mich gesundheitlich beeinflusst“ oder „Ich mache das, weil Kylie Jenner so schön ist und ich so sein will wie sie und weil der Instagram-Filter cute baby face mir zeigt, wie klein und süß meine Nase sein könnte und ich meine echte Nase jetzt hässlich finde.“

Natürlich kann man jetzt sagen: sind die Leute doch selbst Schuld, wenn sie zu unsicher mit sich selbst sind, müssen sie halt selbstbewusster werden und sich von solchen Standards loslösen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Wenn du in deiner Überzeugung sagst: „Gras ist grün“, aber alle um dich herum sagen „Nein, das Gras ist blau.“, dann glaubst du das irgendwann selbst (auch wenn die Wahrheit eine andere ist), weil a) eine Aussage, die gegen eine Vielzahl von anderen steht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch und b) du willst nicht von der Gruppe ausgeschlossen werden. Wir alle wollen dazu gehören. Unterbewusst immer, denn der Mensch ist nunmal ein soziales Wesen, das wenn es zu lange allein ist, vereinsamt und daran sterben kann. Auch die hardcore Introvertierten unter uns.

Und was ist eigentlich mit den Kindern? Ich habe als Kind immer gedacht, die Erwachsenen haben immer Recht und alles, was sie machen ist richtig. (Ist natürlich nicht so und seitdem ich selbst mehr oder weniger erwachsen bin, merke ich, dass alle eigentlich immer nur am improvisieren sind, besonders ich lol.) Eine 10-jährige ist ziemlich leicht zu beeindrucken und wenn sie keine Eltern hat, die akribisch darauf achten, was ihr Kind konsumiert und was für Vorbilder es hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie von den perfekt gestylten Menschen in der Öffentlichkeit beeinflusst wird. Oder was ist mit einer 14-jährigen, die mitten in der Pubertät steckt und sowieso an sich selbst zweifelt und in den sozialen Medien nur glattgebügelte Frauen sieht, die keine Cellulite haben?

Wir sollten alle für uns alle ein Umfeld schaffen, in dem jeder willkommen ist und jeder seinem Körper neutral gegenüber steht. Natürlich ist das nicht immer möglich, mittlerweile sind wir schon zu viele auf diesem Planeten, und es wird immer verschiedene Meinungen geben, aber vielleicht sollten wir versuchen, uns zu fragen, ob diese ganzen Eindrücke von den vermeintlich „perfekten“ Körpern jeden Tag wirklich so gut ist und wie viel an denen überhaupt echt ist. Und können wir so einen Körper überhaupt erreichen? Dass Fitnessinfluencer zum Beispiel ganz andere Starthilfen in Sachen Sport haben, ist auch nicht aus den Augen zu verlieren.

Und vielleicht, ganz vielleicht, sind nicht alle Schönheitsoperationen so super gesund.

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