Ich sitze auf meinem Sofa vor dem Fernseher und bin stolz auf mich, dass ich es geschafft habe, mich selbst davon zu überzeugen, eine Pause einzulegen. (Fast) ohne schlechtes Gewissen klicke ich mich durch YouTube und schaue mir blöden Mist an, bei dem mein Gehirn auf Durchzug schalten kann. Als ich gerade auf ein weiteres Video klicke, kommt ein Werbespot mit Frederick Lau, der mir erzählt, dass ich mir mal eine Pause gönnen soll (mache ich gerade, aber danke trotzdem für die Erlaubnis) und trinkt dann eins von diesen yFood-Dingern. Neben meiner typischen Genervtheit, dass es keinen Werbeblocker bei der YouTube-App gibt, macht sich auch Verwirrung in mir breit. Denn diese Werbespots (ich denke, wir haben alle schon viel zu viele davon gesehen) haben alle den gleichen Unterton: „Du musst dir nur fünf Minuten eine Auszeit gönnen! Mehr nicht! Dann kannst du wieder direkt weiter arbeiten!“ Und das ist ein Problem.

Neben diesem tollen Werbespot gibt es auch andere zahlreiche Einflüsse in der Medienwelt, die darauf abzielen eine solche Botschaft zu vermitteln. Zum Beispiel neureiche Unternehmer auf Instagram, die irgendwann mal ein Fotoshooting hatten, dabei zehn Beispielbilder von sich selbst aufgenommen haben (natürlich irgendwie immer so, dass man sehen kann, dass sie reich sind, zum Beispiel vor einem- ich meine natürlich IHREM Privatjet) und diese nun mit einem tollen iNsPiRiErEnDeN Spruch posten. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“; „Eine Löwe kennt keine Schwäche, nur Stärke“; „Ihr verachtet mich jetzt, weil ich keinen Spaß habe und nur arbeite, aber irgendwann werdet ihr mich beneiden, weil ich so unglaublich REICH bin!“

Meist sind diese Unternehmer einfach nur durch Glück reich geworden oder kamen schon aus einer sehr wohlhabenden Familie, wo man dann einfach keine Startschwierigkeiten mit seinem Unternehmen hat, wenn Mama ihre Millionen reinpumpt. Trotzdem wollen sie uns den erfüllbaren Traum des „Self-Made-Millionaires“ verkaufen. „Keine Sorge, Leute! Irgendwann lohnt es sich, dass ihr 120 Stunden in der Woche arbeitet. So habe ich auch angefangen und guckt, wo ich jetzt bin!“

Es ist einfach der heutige Zeitgeist geworden, dass man maximal arbeiten, Leistung erbringen, oder produktiv sein muss! Ja! Muss! Denn du willst doch nicht den ganzen Tag rumhängen, oder? Der Self-Made-Millionaire hat das auch nicht getan!

Das höchste Level der Dreistigkeit ist allerdings erreicht, wenn sie kleine „Anleitungen“ posten, mit total simplen Sachen, die du auch machen kannst, um dich auf den Weg zur finanziellen Unabhängigkeit zu machen. Solche Dinge sind dann:

Seht ihr! So easy-peasy-lemon-squeezy geht das! Und morgen wacht ihr auf und seid reich. Ach ja, abonniert meinen zweiwöchigen Online-Kurs für 3.000 Euro, damit ihr mich- ich meine, ich euch reich machen kann!

Keine Frage, es gibt Menschen, die es wirklich geschafft haben, von einem schlecht bezahlten Job zu Reichtum zu gelangen, aber eben nicht alle. Und es ist doch sehr viel cooler das behaupten zu können. Es macht einen nahbarer und es erweckt in anderen die Hoffnung, das auch erlangen zu können. Man muss eben nur hart genug arbeiten! Und hier kommen Sachen, wie der eben genannte Werbespot ins Spiel.

Was für eine Zeitverschwendung auch Pausen sind! Sogar Mittagspausen, um etwas zu essen. Es gibt doch jetzt dieses tolle Getränk, dass du dir innerhalb weniger Minuten reinziehen kannst, um direkt wieder ins Meeting reinzugehen. Ach was, trink das einfach während des Meetings! In den paar Minuten kann schon wieder die nächste million dollar idea ersponnen werden!

Durch social media und die Möglichkeit uns ständig vergleichen zu können, sehen wir andere Menschen, die auch so hart arbeiten wie wir und weil sich niemand dabei postet, wie er eine Pause macht, möchte man selbst doch auch lieber durchhusteln wie das toughe Arbeitstier, das man ist oder zumindest versucht zu sein. Und naja, wenn die keine Pause brauchen, brauche ich das auch nicht. Geht schon! Warum ausruhen, wenn ich auch arbeiten kann. Keine Zeit verschwenden, es gibt genug zu tun!

Was die Folgen davon sind, hat man schon in der Einleitung dieses Beitrags gesehen: ich muss mich selbst davon überzeugen, dass ich eine Pause einlegen sollte, anstatt dass ich es einfach tue! Warum nicht einfach hinsetzen und ausruhen? Das geht für die 24-jährige Johanna nicht so einfach, denn sie ist ja noch keine Millionärin! Schon finazielle Unabhängigkeit erreicht? Nein? Dann setz deinen Arsch zurück an den Schreibtisch!

Wenn ich meinen Tag, sogar schon meinen Morgen, nicht effektiv nutze und mindestens drei produktive Sachen von mir gebe, fühle ich mich den ganzen Tag schlecht und gehe mit einem schlechten Gewissen ins Bett. Dass das nicht schlimm ist und man eben Ruhephasen und Tage, an denen man absolut gar nichts macht braucht, weiß ich zwar, aber glauben tue ich daran nicht wirklich. Es ist nur wieder mal mein Körper, der mir dann in wirklich kritischen Situationen vermittelt: „Okay, Johanna, du setzt dich jetzt hin, auch wenn du noch nicht drei Millionen Euro schwer bist!“

Obwohl ich schon anfange auf Pausen zu verzichten, habe ich immer noch zu wenig Zeit. Und wenn ich mal Zeit habe, dann weiß ich eigentlich gar nicht so wirklich, was ich damit anfangen soll. Eines meiner Hobbys ist zum Beispiel Videospiele zu spielen (oder sagt man einfach das Zocken?), also jedenfalls finde ich es cool als eine fiktive Figur in einer fiktiven Welt rumzulaufen und Roboter-Dinosaurier abzuschießen. Wenn ich dann mal tatsächlich Zeit habe, das auch zu tun, hadere ich mit mir selbst. Kann ich das jetzt wirklich schon tun? Muss ich nicht noch etwas anderes erledigen? Manchmal starre ich auch ganz einfach in der Gegend herum, weil ich viel zu erschöpft bin, um mich um irgendeins meiner Hobbys zu kümmern. Und ich frage mich: was soll das? Warum ist das so? Liegt das nur an mir? Was stimmt mit mir nicht, dass ich nicht einen Schnitt setzen kann und dann meinen Hobbys nachgehe?

Durch äußere Einflüsse habe ich verlernt mich tatsächlich auszuruhen. Es ist ja auch immer etwas los. Du kannst dir dein Handy nehmen und dir ein Problem von überall auf der Welt suchen und versuchen dich darum zu kümmern, wenn du keine eigenen hast. Zu was für einer Überforderung das führt habe ich in einem anderen Beitrag schon mal erläutert. Aber es führt eben auch dazu, dass wir keine Ruhephasen mehr haben.

Pausen sind sehr wichtig! Selbst wenn man wirklich nur fünf Minuten braucht, um sein Mittagessen zu essen und die restlichen 25 Minuten der Mittagspause nur dumm rumsitzt, ist das immer noch eine Pause von der Arbeit. In der Gegend rumzuschauen ist vielleicht gar nicht so blöd, wenn man überlegt, dass das Gehirn dann mit dem Verarbeiten der Eindrücke des Tages oder auch der letzten Wochen hinterher kommt.

In diesem Sinne: ich gönne mir jetzt eine Pause! Spaß, ich muss einkaufen. Also halt wirklich. Und Wäsche waschen. Oh man, Produktivität ist auch manchmal einfach langweilig… Aber dann mache ich eine Pause und schieße ein paar Roboter-Dinos ab!

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