Heute muss meine Katze zum Tierarzt. Sie wird operiert. Schon am Vorabend weiß ich, dass der nächste Tag nicht leicht wird.
Um sechs Uhr morgens ist es dann so weit: ich werde von ihren Klageschreien des Hungers geweckt. Ich rappel mich aus dem Bett und begebe mich in die Küche, wo ich den Wasserkocher für meinen schwarzen Tee anstelle. Normalerweise würde ich nun dazu übergehen, meiner Katze ihr Futter in ihren Napf flatschen zu lassen, doch ich tue es nicht. Sie muss nämlich aufgrund der anstehenden Narkose nüchtern bleiben.
Zunächst scheint sie verwirrt, dass ich nichts in ihre Schüssel tue und könnte sie peinlich berührt lachen, würde sie das womöglich tun und mich mit einem: „Entschuldigung, hast du da nicht etwas vergessen?“ daran erinnern, was für ein Kriegsverbrechen hier gerade passiert.
Während ich meine Kleidung zusammensuche und mich in die Dusche begebe, scheint sie noch relativ ruhig zu sein. Sie ist so gütig und gibt mir noch ein wenig Bedenkzeit. Kann ja wirklich sein, dass ich heute einfach etwas neben der Spur bin.
Als ich zurückkomme, werde ich mit freudigem Schnurren begrüßt. Sie weiß, dass ich spätestens jetzt realisiere, was für einen Fehler ich begangen habe. Sie wird freundlich über alles hinwegsehen, sollte ich in den nächsten drei Sekunden meine Missetaten korrigieren. Doch zu ihrer Empörung tue ich das nicht und für sie ist klar: das hier ist brutale Absicht.
Betont langsam geht sie zur Tür herüber und schnüffelt an dem Türschlitz. Vermutlich überlegt sie abzuhauen. Zu neuen Menschen, die keine Psychopathen sind und ihr seit einer halben Stunde das Essen verwehren.
Ich schmiere mir derweil ein Brot und beiße ab, da fange ich mir einen vorwurfsvollen Blick von ihr ein. Wenn sie nicht essen darf, woher habe ich dann die Dreistigkeit selbst zu essen?
Als ich mich in meiner gewohnten Routine an den Laptop setze, um zu schreiben, kommt meine Katze auch wie gewohnt zu mir, um sich wie gewohnt zwischen meine Arme zu legen. Sie scheint gut drauf, schnurrt und verurteilt wie gewohnt das, was ich schreibe, bevor sie sich zu einem Ball zusammenrollt und so tut als würde sie schlafen. Insgeheim ist sie jedoch wach, jederzeit zum Aufspringen bereit, sollte ich doch noch zur Vernunft kommen. Sie möchte wohl noch ein letztes Mal mit mir kuscheln, bevor sie mir mit einer Kralle die Halsschlagader aufschlitzt. Aber nun gut, wenigstens Motivation etwas gutes zu schreiben.
Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Sie muss in die Transportbox. Ich schließe die Tür zur Küche und jetzt sind nur noch wir drei da: die Katze, die Transportbox und ich. Meine Katze und ich schauen uns in die Augen. Ich weiß es, sie weiß es, die Transportbox weiß es. Warum sonst sollte ich das Ding vom Dachboden holen.
Mit ganz langsamen Schritten gehe ich auf meine Katze zu. Sie bewegt sich nicht. Gleich bin ich in greifbarer Nähe. Gleich kann ich sie… plötzlich zischt sie an mir vorbei und versteckt sich unter der Küchentheke. Toll, da hätte ich auch früher drauf kommen können. Ich knie mich hin und versuche an sie ranzukommen, doch sie ist gerade außer Reichweite. Hätte sie Daumen, würde sie mir jetzt eine lange Nase machen und einen Kinderreim summen und in Gedanken tut sie das bestimmt auch. Zumindest in meinen und ich drohe: „Ich hole den Staubsauger“. Nichts. Keine Reaktion. Sie weiß, dass es eine leere Drohung ist und ich weiß es auch.
Ich versuche es versöhnlicher, flöte ihren Namen, in den Tönen, bei denen sie immer Essen bekommt und irgendwie scheint das zu helfen, denn sie kommt ein Stück hervor und diesmal bin ich blitzschnell, als ich sie mir schnappe und in die Transportbox stopfe (Anm. d. Redaktion: ich habe nicht wirklich gestopft; es klingt nur lustig).
Die gesamte Autofahrt spricht sie nicht mit mir. Zu groß ist der Verrat, der begangen wurde. Dass Brutus seinen eigenen Ziehvater Caesar erstochen hat, ist nichts dagegen.
Beim Tierarzt angekommen, schweigt sie immer noch. Auch mein „Ich weiß, es ist scheiße, aber es muss sein.“ stößt auf taube Ohren. Ich fülle die Papiere für den Tierarzt aus (Bitte unterschrieben Sie, dass Ihr Tier vielleicht sterben kann lmao coolcoolcoolcoolcool) und gucke danach kurz in die Transportbox. Eisige Kälte schlägt mir entgegen, als ich den Blick meiner Katze auffange. Gut, okay, die Stimmung kann ich sowieso nicht retten.
Die Assistentin der Tierärztin ist ganz begeistert von meiner Katze und nennt sie „Mäuschen“, während sie über sie spricht. Die Assistentin schaut in die Transportbox und sagt: „Na, dann nehmen wir das kleine Mäuschen mal mit!“ Ich kann den Blick meiner Katze sehen, der schreit „Oh Gott! Endlich! JA! Nehmen Sie mich mit! Diese Frau ist verrückt geworden! Stellen Sie sich vor, sie hat mich nicht gefüttert! Mir ist schon ganz schwindelig vor Hunger. Ich weiß nicht, ob ich den Tag schaffe!“ Vielleicht hätte jemand anderes eine Schauspielkarriere einschlagen sollen…
Das neu gefundene Paar begibt sich nach hinten und mir wird bewusst, dass mir wohl meine Katze niemals mehr trauen wird… Nun ja, wenigstens werde ich nachts nicht mehr von Schreien nach einem Kater geweckt werden.