„OH MEIN GOTT JOHANNA“, lautet die Nachricht, die ich von meiner Freundin bekomme, „DU MUSST UNBEDINGT MORBIUS GUCKEN“ Es folgt eine Sprachnachricht, in der sie mir erklärt, warum der Film so gut sein soll. Allerdings war ich von dem Film schon abgetan, als ich das erste Mal einen Trailer im Kino geguckt hatte. Und auch die Erklärungen meiner Freundin überzeugen mich nicht wirklich. Aber warum nicht? Schließlich mag ich die Marvel-Filme und habe bis jetzt auch alle anderen gesehen. Warum also nicht diesen hier? Nun, die Begründung ist eigentlich sehr einfach: Jared Leto. Er spielt nämlich die Hauptrolle in diesem Film.

Ich mag ihn einfach nicht. Ich habe diesen Menschen noch nie getroffen, werde es auch nie, aber trotzdem bekomme ich aufsteigende Hitze, wenn ich ihn auf der Leinwand sehe. Am liebsten würde ich schreien. Durch meine Freundin wieder an diesen Schauspieler erinnert, möchte ich mich auf die Suche nach dem Grund meiner Abscheu machen. Warum habe ich eigentlich grundsätzlich etwas gegen ihn?

Ich setze mich als erstes an meinen Laptop und gebe ganz faul einfach jared leto bei Google ein. Zahlreiche „News“ ploppen zeitgleich zu dem Film auf: Wie Jared Leto alle am Set zu „Morbius“ verrückt machte / So hat Jared Leto den Dreh zum Marvel-Blockbuster verzögert. Kennen wir das nicht schon? Meine Finger huschen über die Tastatur: jared leto jike– ah fuck, vertippt jared leto joker und siehe da: auch hier gibt es Meldungen zu dem komischen Verhalten des Schauspielers; Jared Leto legte seinen Kollegen von „Suicide Squad“ tote Ratten und benutzte Kondome in die Wohnung. Ah ja, die Erinnerung, warum ich ihn nicht mag, da ist sie!

Ich stöhne genervt und die aufsteigende Hitze kommt zurück. Aber dass Jared Leto sich komisch verhält ist nicht der Grund für meinen vorprogrammierten Hass. Soll der Mann machen, was er will. Ob die anderen sich damit abgeben wollen, sollen sie entscheiden. Der Grund, warum mich dieses Verhalten so aufregt ist, dass er diese Dinge im Namen des Schauspiels tut. Sein Tun hinter der Kamera, zumindest das, von dem man weiß, hat nichts mit Schauspiel zu tun. Ich denke eher, dass es eine Methode ist, die sich mit Arschlochsein vermischt. Aber lasst mich meine harsche Kritik, zu der ich vielleicht gar kein Recht habe, erklären:

(Disclaimer, damit sich nicht zu viele aufregen: auch wenn Schauspiel an sich ein Handwerk ist und es Methoden gibt, an die man sich richten kann, ist das Spiel an sich häufig noch etwas subjektives und jeder Schauspieler hat eine andere Meinung oder Methode. Das folgende ist also nur meine Sicht und Meinung als Schauspielerin.)

Um meine Gründe zu erklären, müssen wir uns zunächst ein bisschen Schauspieltheorie ansehen. Es gibt verschiedenste Schauspielmethoden, und jeder Schauspieler hat seine eigene Art in die Rolle reinzukommen. Da Jared Leto immer wieder sagt, dass er ein Method Actor ist, schauen wir uns doch einmal Method Acting an.

Diese Methode beginnt im frühen 20. Jahrhundert mit Konstantin Stanislawski und lässt sich so zusammen fassen: der Schauspieler soll ähnliche Erlebnisse aus seinem Leben finden, um den Zustand der Rolle in der Situation füttern zu können. Wenn der Schauspieler spielen soll, dass seine Mutter gestorben ist, reicht der Verlust eines geliebten Haustieres als Quelle der Emotion für sein Spiel vollkommen, denn das Gefühl ist ähnlich und soll erst einmal nur eine Starthilfe sein, um sich in die Szene hineinzuversetzen. Alles andere „kommt dann“. Zudem ist wichtig, dass die Rolle, die der Schauspieler durch Proben erfindet, eine Mischung aus sich selbst und der Rolle ist. Ein Mittelding, das mit dem Schauspieler zusammenhängt, aber nicht der Schauspieler selbst ist. Zwischen Schauspieler und Rolle soll immer noch unterschieden werden können.

Wichtig zu wissen ist, dass diese Methode aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt und somit hauptsächlich für das Theater gemacht war, da es den Film noch nicht wirklich gab. Bei Theater ist ein „äußeres“ Spiel gefragt, da der Körper die Emotionen bis in die letzte Reihe des Publikums tragen muss, während bei Film die Kamera bzw. der Zuschauer ganz nah am Schauspieler ist und somit ein „innerliches“ Spiel ermöglicht. Das bedeutet allerdings nicht (!), dass ein Spiel besser ist, als das andere. Es sind lediglich zwei unterschiedliche Arten.

Noch zu Stanislawskis Lebzeiten nimmt Lee Strasberg diese Methode und erweitert bzw. definiert sie um drei Kernpunkte:

Zusammengefasst hat diese Methode sehr viel mehr mit der Privatsphäre des Schauspielers zu tun. Die Arbeit mit den eigenen Erinnerungen wird vertieft, um so ein authentischeres Spiel zu erzeugen. Zwei wichtige Regeln sind bei dieser Methode zu beachten:

Eine moderne Methode, die Strasbergs Punkte aufgreift und benutzt ist die Ivana Chubbuck-Methode. Ivana Chubbuck ist eine der berühmtesten Schauspiellehrerinnen Hollywoods, die zahlreiche Hollywood-Größen unterrichtet und das Method Acting erweitert hat.

Eine weitere Methode ist, dass sich der Schauspieler durch den zu steuernden Atem, Spannungsgefühle und ähnliches in eine gewisse Emotion bringt. Zunächst benutzt der Schauspieler seine Fantasie, welche durch das Unterbewusstsein gefüttert ist, regt die Gedanken (oder auch den Subtext) an und aus diesen entstehen die Emotionen, die dann wiederum den Körper handeln lassen. Wenn der Schauspieler spielen soll, dass er an einem Abhang steht, ist gelenktes schnelles Atmen eine Hilfe eine panische Emotion zu erzeugen.

In conclusio:

Was all diese Methoden gemeinsam haben ist: der Schauspieler braucht seine Kollegen nicht. Klar, kann es hilfreich sein, wenn ich weinen soll, und mein Gegenüber auch weint, aber ein guter Schauspieler kann das auch alleine. Dafür ist er schließlich Schauspieler.

Und damit wären wir wieder bei Jared Leto. Schauen wir uns einmal an, was er (angeblich) für eine Methode hat zu spielen und ob wir Parallelen zu unseren recherchierten Methoden finden.

In dem Film Morbius spielt Jared Leto einen gebrechlichen Mann mit einem lebenslangen Leid, welches ihn dazu verdammt nur auf Krücken laufen zu können. Da Jared Leto auch in den Drehpausen immer noch in der Rolle blieb, und sich dementsprechend nur mit den Krücken fortbewegte, hielt das die Dreharbeiten auf. Und Drehen ist, vor allem in Hollywood, sehr teuer. Verzögerungen beim Dreh können immer passieren, aber es ist ein Unterschied, ob sie versehentlich passieren oder mit voller Absicht.

Gut, bei Morbius scheint es noch ein relativ harmloses Verhalten gewesen zu sein, aber gehen wir noch ein wenig zurück. Ins Jahr 2016 als der Film Suicide Squad herauskam. Angeblich soll Jared Leto benutzte Kondome und Anal (wie nennt man das?) -Stöpsel (???) und tote Ratten in die Wohnungen oder Wohnwagen seiner Schauspielkollegen gelegt haben. Alles um in die Rolle des Jokers besser reinzufinden.

Erinnern wir uns an unsere Recherche: alle Methoden haben gemeinsam, dass der Schauspieler in der Lage ist, sich allein in die Rolle, das Gefühl, die Situation hineinzuversetzen. Hmm…

Wenn Jared Leto im Namen des Method Acting gerne mehr Kilos als es gesund ist, ab- oder zunehmen will, dann ist das seine Entscheidung, denn es ist sein Körper und sollte somit allen anderen egal sein können, aber Method Acting hört da auf, wo die Intims- und Privatsphäre deiner Kollegen anfangen.

Auch Schauspieler Will Poulter, der sich selbst ebenfalls als Method Actor bezeichnet, hat eine ähnliche Meinung:

“(…) But if your process creates an inhospitable environment, then to me, you’ve lost sight of what’s important. Method acting shouldn’t be used as an excuse for inappropriate behavior – and it definitely has.”

(„(…) Aber wenn dein Prozess ein ungemütliches Umfeld schafft, dann hast du, meiner Meinung nach, den Blick dafür verloren, was wichtig ist. Method Acting sollte nicht als Entschuldigung für unangemessenes Verhalten benutzt werden – aber das wurde es definitiv.“)

Jared Letos Verhalten am Set kann vielleicht noch damit erklärt werden, dass er äußere Einflüsse benutzt, um im Inneren eine Emotion zu erregen, zu speichern und fürs Spielen zu benutzen, allerdings hat sein Verhalten nichts mit seiner Rolle zu tun, selbst wenn er, als Morbius, weiterhin seine Krücken benutzt, was sein Charakter ja tatsächlich tut, denn die Konsequenzen seines Verhaltens sind „in der echten Welt“ für den Dreh einfach zu groß, um toleriert zu werden.

Ebenfalls interessant in Bezug auf die Vorfälle am Set zu Suicide Squad: Jared Leto sagt in zwei Interviews unterschiedliche Dinge über ein- und denselben Sachverhalt. In einem Interview mit E! News sagte er, er habe benutzte Kondome und Anal-…stöpsel (was ist das deutsche Wort!?) und tote Ratten in die Wohnwagen gelegt und im Interview mit Entertainment Weekly Radio weist er diese „Vorwürfe“ von sich zurück und sagt es waren nur tote Ratten („NUR“ !!!). Es ist nicht relevant, welche von den beiden Aussagen stimmt, denn es zeigt einen entscheidenen Faktor: Leto lügt ganz klar in einer Aussage. Und das wahrscheinlich um polarisierend zu sein. Die Reaktionen auf diese Taten sind klar: Wow, Jared Leto ist so ein krasser Schauspieler! Der macht so verrückte Dinge nur um besser spielen zu können! Cool!

Kann mir bitte einer erklären, was das Deponieren von toten Tieren in den privaten Unterkünften von Menschen für die Schauspielkunst tun soll!?!?!?!?!? Was für ein Gefühl, Erinnerung was auch immer, willst du damit hervorrufen??? Ha, ich war gestern mal wieder voll das Arschloch! Das hilft mir jetzt!

!??!?!?!?!?!?!??!??!?!??!?!?

Jared Letos Verhalten regt mich auf, denn jeder Idiot sollte sehen können, dass er sich nur so verhält um die maximale Aufmerksamkeit zu bekommen und einen Ruf als „verrückter Schauspieler“ zu erhalten. Damit zieht er, meiner Meinung nach, die Kunst des Spielens in den Dreck, denn es ist kein herausragendes Spiel, wenn man sich wie ein Arschloch verhält und Dreharbeiten aufhält.

Die Kunst des Spielens ist, sich (schnell) in eine Situation als eine Rolle hineinzuversetzen und eine authentische Darbietung abzuliefern.

Nehmen wir ein extremeres Beispiel (und an dieser Stelle TW Gewalt): wenn Schauspieler A mit Schauspielerin B ein Ehepaar spielen soll und A B regelmäßig schlägt, also häusliche Gewalt verübt, wäre es da in Ordnung, dass Schauspieler A (privat) zu Schauspielerin B (privat) hingeht und ihr während der Drehpausen eine reinhaut? Schauspieler A würde einfach sagen, dass er sich so besser in die Rolle reinfindet und Schauspielerin B damit gleich einen Gefallen tut, denn so hätte sie ja auch die Möglichkeit davon zu profitieren.

Es gibt einen Grund, warum Anthony Hopkins, als er die Rolle des Hannibal Lector spielte, nicht wirklich losgegangen ist und Menschen gehäutet hat und das nennt sich Schauspiel. Auch Schauspieler gehen am Ende eines Drehtags nach Hause und sind wieder sie selbst. Weil sie nicht die Rolle werden, sondern sie spielen. Das ist ein Unterschied.

Mein ehemaliger Dozent sagte einmal: „Schauspiel ist wie eine Jacke: man zieht sie an und man zieht sie wieder aus.

Es ist ja schon im Namen: SchauSPIEL. Schauspieler spielen nur, sie sind nicht wirklich die Rolle oder müssen tatsächliche Handlungen ihrer Rolle vollziehen.

(Fun Fact: als Kind dachte ich, wenn jemand im Film stibt, stirbt diese Person wirklich. Aber nicht weil ich dachte, dass alles echt ist in dem Film. Nein, nein, ich dachte wirklich, dass einige Schauspieler es einfach in Kauf nehmen zu sterben und habe mich dann gefragt, warum dann jemand diesen Beruf machen möchte. 15 Jahre später sind wir hier lol)

Eine ähnliche Diskussion gibt es über Diversity im Schauspiel. Aber dazu komme ich nochmal in einem anderen Beitrag.

Die Diskussion um Method Acting ist eine, die es schon lange in Hollywood gibt. Es gibt extreme Verfechter dieser Methode und natürlich auch extreme Gegner. Durch das Internet und die Möglichkeit als Publikum transparenter hinter die Kulissen des Films zu schauen, stellt sich die Frage, ob alles, was die Schauspieler im Namen des Method Acting tun, moralisch vertretbar ist.

Aber gut, am Ende des Tages scheint es Hollywood egal zu sein, wie sehr Jared Leto seine Kollegen am Set terrorisiert oder in den Wahnsinn treibt, denn er wird ja immer wieder gebucht. Und sind wir mal ehrlich: die PR-Maschine schnurrt ja… dann kann ja auch alles andere nicht so wichtig sein.

Quellen:

How Will Poulter and Jared Leto Show the 2 Sides to Method Acting

https://www.yourtango.com/entertainment/times-jared-leto-took-method-acting-too-far

https://www.inverse.com/entertainment/jared-letos-method-acting-morbius-joker

https://www.film.tv/filme/2022/morbius-star-jared-leto-hat-am-set-alle-verrueckt-gemacht-57479.html

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